Ein
Mann steht ruhig vor einem Bild, als ein Bekannter von ihm vorbei kommt. Sie
begrüßen sich mit einem Handschlag und der Mann wendet sich wieder dem Bild
zu.
„Gefällt
ihnen das?“
„Was?“
„Das
Bild?“
„Wieso?“
„Weil
Sie davor stehen.“
„Ich
stehe davor, weil ich es mir ansehe.“
„Ja,
klar, und, gefällt es Ihnen?“
„Das
ist doch keine Frage.“
„Nein?
So gut finden sie es?“
„Nein.“
„Also
gefällt es Ihnen doch nicht?“
„Vielleicht.
Mal sehen.“
Der
Bekannte lässt ihn eine kurze Weile in Ruhe das Bild weiter betrachten, sieht
auch selber hin. Schließlich hält er es nicht mehr aus.
„Was
sehen Sie? Ich meine, was kann man da erkennen?“
„Das
was Sie sehen.“
„Mhh!“
Nach
einer weiteren Weile des Betrachtens beginnt der Bekannte wieder zu fragen.
„Was
denken Sie, ich meine, während Sie das Bild so intensiv betrachten. Was denken
Sie?“
„Nichts.“
„Sie
denken nichts, also sagt Ihnen das Bild auch nichts?“
„Doch.“
„Also
denken Sie doch.“
„Nein,
aber das Bild sagt mir etwas.“
„Mir
aber nicht. Was will Ihrer Meinung nach, denn der Künstler uns damit sagen?“
„Würde
ich es Ihnen sagen können, hätte der Künstler kein Bild geschaffen sondern
einen Text geschrieben. Es sagt mir halt zu.“
„Aber
Sie denken nicht dabei? Wie geht das denn? Wo es doch angeblich etwas zu Ihnen
sagt?“
„Es
ist ein Bild!“
„Ja,
das sehe ich auch.“
„Da
muss man nicht denken, sondern hinsehen, verstehen Sie, hinein sehen, es auf
sich wirken lassen. Dann kommen einem die Bilder von allein.“
„Bilder?
Ich sehe nur eins.“
„Weil
sie denken und reden statt einfach nur still es sich an zu sehen.“
„Ich
sehe aber nichts.“
„Wie
auch. Hören Sie auf zu denken dabei.“
„Wie
heißt es überhaupt?“
„Steht
da auf dem Schildchen.“
„Sprachlos?
Was soll das denn?“
Sie
sahen sich stumm an, der Betrachter wütend, sein Bekannter empört.
„Der
will uns wohl verarschen! Sprachlos! Ist doch jedes Bild, oder nicht?“
„Wir,
er meint uns.“
„Wie?“
„Er
meint, wir sind sprachlos, das heißt erst er, der Künstler und dann vielleicht
auch wir. Ich jedenfalls bin es.“
„Warum?“
„Na,
das sieht man doch.“
Der
Bekannte will ganz nahe an das Bild heran. Sofort gehen die Alarmsirenen los. Zwei
Museumswärter stürzen zu ihnen hin. Der Bekannte dreht sich erschrocken zu
ihnen um. Im gleichen Moment schlägt der Bildbetrachter zu. Mehrmals, bis sein
Bekannter auf dem Boden liegt. Daraufhin beginnt er ihn überall mit kräftigen
Tritten zu malträtieren, bis es den Museumswärtern gelingt, ihn weg zu ziehen.
In
der Gerichtsverhandlung, zu der es Dank seinem Bekannten kam, da der ihn wegen
schwerer Körperverletzung angezeigt hatte, gab der in den Medien sofort als „Kunstschläger“
titulierte Mann an, das Bild sei der Auslöser gewesen, es habe ihn sprachlos
und wütend gemacht, ja, er habe die ganze bittere Wut des Künstlers in sich
gespürt und der dumme Bekannte sei Teil dieses Bild geworden und er habe
einfach nur noch rot gesehen.
„Das
ist eben Kunst,“ sagte er ruhig,“sie kann vieles anrichten, wenn sie gut ist.
Und dies Bild erscheint mir mehr als gelungen.“
Er
wurde zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt und ein Verbot auf fünf Jahre für
sämtliche Kunstmuseen der Republik. Es wurde ihm zugute gehalten, dass das
Opfer ihn durch seine Fragerei wahrscheinlich gereizt hätte.
Damit
war aber das Thema nicht beendet. Die Medien ereiferten sich noch lange über
Bild, Tat und die manchmal bedenkenswerten Folgen der Kunst und ob es dann
nicht doch keine Kunst sei, eher eine gefährliche, dumme Provokation.
Der
Mann nahm den ersten Teil des Urteils mit Gelassenheit, den zweiten Teil aber
mit großer Trauer an.
Schon
bald darauf verließ er das Land für immer. Aufgrund der hohen Medienresonanz
wurde er aber auch im Ausland beim Besuch der Museen erkannt und zum Verlassen
aufgefordert. Da sprang der Mann von einer hohen Brücke auf die Schienen, in
der Hoffnung, wenn der Sturz nicht ausreichen würde, ihn ein Zug endgültig von
diesem Leben befreien würde. Und so geschah es. Er musste noch die Räder
spüren, wie sie ihn zerquetschten.
Auf
der Beerdigung erschien auch der Schöpfer des Bildes, mit dem alles begonnen
hatte. Nicht erschienen ist der Bekannte, das Opfer.
Der
Künstler schuf unserem Manne zu Ehren ein grandioses Bild, dass aber bald schon
von keinem Museum mehr aufgehängt wurde. Zu viele Betrachter des Bildes sprangen
hinterher von hohen Brücken auf die Schienen.
Seitdem vermieden es die
Kuratoren und Leiter der Museen Kunst zu präsentieren, die große Reaktionen
nach sich zogen. Viele Künstler bedauerten das sehr, vor allem die, die deshalb
kein Werk mehr abgenommen bekamen. Sie waren sich sicher auch der Mann hätte
dies bedauert, trotz seines folgenschweren Todes.
Hatten
sich nicht auch nach dem Erscheinen des „Werther“ damals viele Jugendliche
selbst vom Leben zum Tode befördert und trotzdem stehen die Werke seines
Schöpfers in jeder Buchhandlung, noch heute.
Was zur nächsten Debatte führte,
warum Literatur etwas dürfe und bildende Kunst nicht, welches Naturgesetz den
Worten Vorrechte einräume vor den Bildern?
Sprachlos? Vorsicht, oft fängt mit dem Einsetzen der Sprachlosigkeit
bisweilen das Schreckliche erst so richtig an. Dafür aber verabschieden sich von uns nun ganz andere
Leute in völlig anderen Geschichten.
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