Donnerstag, 7. November 2013

Das Dichtertreffen im Spiegelsaal


Ein König, der sehr stolz darauf war, dass sein Reich das Land der Dichter genannt wurde, hatte eines Tages eine Idee, wie er die Dichtkunst noch mehr steigern könnte.
Er lud alle Autoren seines Landes zu sich auf das Schloss ein und wenn es zu Hofe geht, das kannte er bereits, traute sich keiner zu fehlen. Nicht mal die Aufmüpfigen, die Spötter und Untergangspropheten. Alle kamen sie, die einen zu Fuß, die anderen in Fahrzeugen, wenige konnten es sich leisten, sich vorfahren zu lassen.
Das Volk sah staunend dem Aufzug der Dichter zu und erhoffte sich ein großes Spektakel.
Der König begrüßte jeden und jede der Autoren mit Handschlag, bat sie dann alle in den großen Spiegelsaal zu kommen. Als alle eingetroffen und begrüßt waren, ließ er die Türen des Saales fest verschließen und postierte vor den großen Fenstern seine Soldaten.
Auf dem lang gestreckten Tisch in der Mitte des Saales aber hatte er einen Brief gut sichtbar positioniert. In dem stand, dass sie nun alle ein Textchen verfassen mögen und unter sich auf dieser schöpferischen Grundlage den besten Poeten oder die beste Poetin des Landes wählen. Diese dürften dann den Saal verlassen. So sollten sie es so lange weiter tun bis nur noch einer oder eine von ihnen übrig bliebe, die selbstverständlich dann auch frei käme. Dies alles solle geschehen zu Ehren der Literatur und dem Ruhme des Landes der Dichter.
Nachdem die Erregung sich bei fast allen wieder gelegt hatte, nicht unwesentlich unterstützt durch die Aussicht diesen Saal mit Spiegeln und ohne jedes Getränk oder gar Speise schnell wieder verlassen zu können, begannen sie zu texten, zu reimen, gegen zu reimen und zu monologisieren oder dialogisieren, vertieften sich in bildhafte Beschreibungen und bald schon war kein Laut mehr von ihnen zu hören als das hundertfache Kratzen der Stifte auf den großzügig überall verteilten  edlen Pergamenten.
Sie kannten alle den König als großzügigen Herrscher, zumindest seinen Dichtern gegenüber und so träumten sie beim Schreiben von herrlichen Weinen und erlesenen Gerichten, was sie nicht daran hindern konnte immer wieder sich selbst in den großen Spiegeln zu betrachten und sich selber wohlgefällig zu zunicken..
Bei der ersten Abstimmung gewann mit Abstand der älteste unter ihnen, ein längst schon preisgekrönter und mit Ehrungen überhäufter Dichter, von dem die wenigsten im Lande wussten, dass er noch am Leben war.
Der König sah ihn, umarmte den Alten und ging mit ihm zu Tische, wo der Alte traurig zu sah, wie der König zu sich nahm, was ihm dem Alten vom Arzt verboten worden war. Der König tröstete ihn mit einem weiteren Ehrentitel und als dessen Zugabe ein schönes Stück Land in den Bergen, was der Alte mit Freuden annahm.
Bei der zweiten Abstimmung dauerte es schon länger, bis die „First Lady“ unter ihnen gewann, eine Autorin vieler sprachgewaltiger Theaterstücke und wie der Alte schon lange berühmt und zur Verwunderung mancher noch immer lebend unter ihnen weilend.
Auch diese führte der König zufrieden mit seiner Idee zu Tische und die Dichterin aß und trank, wie er meinte, noch nie in seinem Leben eine Frau oder Künstlerin gegessen und getrunken gesehen zu haben. Nach dem Mahl überreichte er ihr ebenfalls einen Titel und ein großes  Gut, auf dem Schweine und Rinder gemästet wurden, dazu ein kleines Weingut in den Bergen. Sie bedankte sich artig und ließ sich davon tragen auf einer Sänfte, so hatte sie bei Tische zugelangt, dass sie nicht mehr selber zu gehen imstande sich sah.
Aber die dritte Wahl, die sollte dem König arg lang werden. Schließlich verlor er die Geduld und ließ einen weiteren Brief hinein bringen. Darin stand für die Dichterrunde in großen scharf geschnittenen Buchstaben zu lesen, dass ihr König sich außerstande sehe ihnen Getränke und Nahrung zu bringen, bevor nicht alle dichterischen Werke vollendet seien, da Speis und Trank bekanntlich keine gute Dichtung hervor brächten, nur sattes Gerülpste. Vor allem die letzten Worte erstaunte die Runde sehr, waren sie solch Töne von ihrem König bisher eher nicht gewöhnt. Und nach einigen hitzigen Wortgefechten einigten sie sich dann doch auf den Jüngsten unter ihnen, einem wild um sich blickenden Kerl mit krausen schwarzen Haaren. Der war bereits bekannt für seine sittenlosen Texte und heftig bösen Attacken gegen den König.
Als der König diesen nun heraus treten sah, war ihm der so recht wie die Anderen, lud ihn zur Tafel und siehe da, der junge Mann hatte Appetit und sagte auch bei dem Wein nicht nein.  Diesem Dichter schenkte er nach dem Mahl ein Gefängnis, in dem der fortan wohnen aber jederzeit raus und rein konnte, im Gegensatz zu den anderen Gefangenen. Der Dichter war begeistert und lobte fortan den König nur noch als mehr als weisen Mann.
Der König aber, wieder alleine und lange wartend, wusste sich ob seiner Dichter keinen Reim. Wieso wählten die nicht einfach einen nach dem anderen raus? Wo konnte da ein Problem für sie sein, was für ein Hindernis?
Er kannte seine Dichter eben doch nicht gut genug. Die Restlichen wählten alle nur sich selbst und wollten keinem anderen den Vortritt lassen. Sie wählten und wählten und jedes Mal bekam jeder und jede nur eine Stimme.
Wir normalen, nicht der Dichtkunst so fähigen Leute, hätten daraufhin, alleine des Hungers und des Durstes wegen, wohl unsere Strategie gewechselt. Nicht so aber diese Poeten.  Die wählten und wählten, schrieben, diskutierten, stritten und wählten.
Der König wurde darüber sehr zornig und rief in seiner Wut:  „Dann sollen sie eben alle verdursten und verhungern!“ Auch diese Botschaft ließ er auf Pergament groß und gestochen geschrieben zu ihnen bringen.
Nun kannte auch deren Empörung und Wut keine Grenzen mehr, sie schrien und schimpften, schrieben grimmige, böse, verletzende Theaterstücke, Gedichte und Romane gegen ihn.  Vergaßen darüber das Wählen und den Hunger, bis der Mangel an nahrhafter Stärkung sie erschöpft vor den Spiegeln niedergleiten ließ. Da konnten sie sich in Ruhe mit müden, sterbenden Augen betrachten. Ein jeder und eine jede versuchte noch ein stolzes Lächeln auf das bereits bleiche und bis auf die Knochen abgemagerte Gesicht zu zaubern und verschied.
Das Malheur für den König war dann doch sehr anders, als er es gewollt hatte. Traurig ließ er die Dichterrunde in ein gemeinsames Großgrab legen und schenkte ihnen ein riesiges Denkmal mit der Aufschrift „Hier ruht des Landes ganzer Stolz und Dichtung, möge sie in Frieden ruhen und nie vergessen sein.“
Kurz darauf verschieden auch der alte Dichter und die Dichterin. Nur der junge Dichter lebte noch eine Weile fröhlich in seinem Gefängnis vor sich hin, bis er eines Tages auf die verrückte Idee kam, einen Tag lang mit einem der Gefangenen des Königs tauschen zu dürfen. Der Gefangene war begeistert und verließ unverzüglich das Gefängnis, suchte keineswegs die Dichtung, nur das Weite. Als der König davon erfuhr und davon, dass die Wächter ohne Ersatzgefangenen den Dichter nicht freilassen mochte, war es zu spät. Der junge Dichter hatte sich mit einer Scherbe bereits die Kehle durchtrennt und mit seinem Blut mit letzter poetisch bereits stark geschwächter Kraft an die Wand geschrieben:
„Für Dich mein weiser König
opfere ich gern mein junges Leben
der Du hast dem Land und
uns Dichtern so viel gegeben“
Der König war daraufhin sehr traurig und sehnte sich seine Dichter zurück, mochte nicht länger nur in ihren alten Werken lesen.  Noch schlimmer aber erging es seinem Volk, dass nun an von niemandem mehr das Volk der Dichter geheißen. Man las wie anderswo nur noch in Briefen, das auch selten, Nachrichten in den Anzeigenblättern und schwer verständliche Fachbücher und Magazine, was einer halt so muss und braucht, der nicht dichtend ernähren kann sein Leben.
Eines Tages aber, nach mehr als vielen hundert Jahren, begann eine junge Bauerstochter auf ihrem Trecker Gedichte zu verfassen, die reinste Poesie, voll mit Blumen, Bäumen, Herz und Schmerz. Als das ihr Vater mitbekam, schlug er ihr den Apple-Ipod aus der Hand und verbat ihr, damit je zum König oder sonst wo hin zu gehen.
„Du weißt doch, wie der König damals seine ach so geliebten Dichter verhungern und verdursten ließ!“
„Aber unser Volk, das sehnt sich doch nach Literatur und Dichtern zurück.“
„Wie kommst Du auf diesen Schmarrn. Hier seht sich keiner nach Dichtung. Die füllt nur den Geist mit Schwachsinn und nicht den Magen. Achte lieber auf die Furchen, die Dein Trecker fährt.“
„Aber Vater, der König ist seit Jahrhunderten tot und außerdem haben wir längst die Demokratie hier im Land!“
„Umso schlimmer, weißt Du wie die Politiker sind, die jetzt die Macht haben? Also, vergiss es besser und vor allem schnell mein Kind!“
Und so kam es, dass in diesem Märchen keine junge Maid das Königreich oder die Dichtung dem Land rettete. Schade drum. Obwohl, das Volk ja, aber der König und die Politiker tun mir weniger leid. Hoffe inständig und sehr, dass sie diese Zeilen hier nicht als Zeugnis meines heimlichen Dichterseins auffassen und nach mir rufen lassen.

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