Ein
König, der sehr stolz darauf war, dass sein Reich das Land der Dichter genannt
wurde, hatte eines Tages eine Idee, wie er die Dichtkunst noch mehr steigern
könnte.
Er
lud alle Autoren seines Landes zu sich auf das Schloss ein und wenn es zu Hofe
geht, das kannte er bereits, traute sich keiner zu fehlen. Nicht mal die
Aufmüpfigen, die Spötter und Untergangspropheten. Alle kamen sie, die einen zu
Fuß, die anderen in Fahrzeugen, wenige konnten es sich leisten, sich vorfahren
zu lassen.
Das
Volk sah staunend dem Aufzug der Dichter zu und erhoffte sich ein großes Spektakel.
Der
König begrüßte jeden und jede der Autoren mit Handschlag, bat sie dann alle in
den großen Spiegelsaal zu kommen. Als alle eingetroffen und begrüßt waren, ließ
er die Türen des Saales fest verschließen und postierte vor den großen Fenstern
seine Soldaten.
Auf
dem lang gestreckten Tisch in der Mitte des Saales aber hatte er einen Brief
gut sichtbar positioniert. In dem stand, dass sie nun alle ein Textchen
verfassen mögen und unter sich auf dieser schöpferischen Grundlage den besten Poeten
oder die beste Poetin des Landes wählen. Diese dürften dann den Saal verlassen.
So sollten sie es so lange weiter tun bis nur noch einer oder eine von ihnen
übrig bliebe, die selbstverständlich dann auch frei käme. Dies alles solle
geschehen zu Ehren der Literatur und dem Ruhme des Landes der Dichter.
Nachdem
die Erregung sich bei fast allen wieder gelegt hatte, nicht unwesentlich
unterstützt durch die Aussicht diesen Saal mit Spiegeln und ohne jedes Getränk
oder gar Speise schnell wieder verlassen zu können, begannen sie zu texten, zu
reimen, gegen zu reimen und zu monologisieren oder dialogisieren, vertieften
sich in bildhafte Beschreibungen und bald schon war kein Laut mehr von ihnen zu
hören als das hundertfache Kratzen der Stifte auf den großzügig überall
verteilten edlen Pergamenten.
Sie
kannten alle den König als großzügigen Herrscher, zumindest seinen Dichtern
gegenüber und so träumten sie beim Schreiben von herrlichen Weinen und
erlesenen Gerichten, was sie nicht daran hindern konnte immer wieder sich
selbst in den großen Spiegeln zu betrachten und sich selber wohlgefällig zu zunicken..
Bei
der ersten Abstimmung gewann mit Abstand der älteste unter ihnen, ein längst
schon preisgekrönter und mit Ehrungen überhäufter Dichter, von dem die
wenigsten im Lande wussten, dass er noch am Leben war.
Der
König sah ihn, umarmte den Alten und ging mit ihm zu Tische, wo der Alte
traurig zu sah, wie der König zu sich nahm, was ihm dem Alten vom Arzt verboten
worden war. Der König tröstete ihn mit einem weiteren Ehrentitel und als dessen
Zugabe ein schönes Stück Land in den Bergen, was der Alte mit Freuden annahm.
Bei
der zweiten Abstimmung dauerte es schon länger, bis die „First Lady“ unter
ihnen gewann, eine Autorin vieler sprachgewaltiger Theaterstücke und wie der
Alte schon lange berühmt und zur Verwunderung mancher noch immer lebend unter
ihnen weilend.
Auch
diese führte der König zufrieden mit seiner Idee zu Tische und die Dichterin aß
und trank, wie er meinte, noch nie in seinem Leben eine Frau oder Künstlerin
gegessen und getrunken gesehen zu haben. Nach dem Mahl überreichte er ihr
ebenfalls einen Titel und ein großes
Gut, auf dem Schweine und Rinder gemästet wurden, dazu ein kleines
Weingut in den Bergen. Sie bedankte sich artig und ließ sich davon tragen auf
einer Sänfte, so hatte sie bei Tische zugelangt, dass sie nicht mehr selber zu
gehen imstande sich sah.
Aber
die dritte Wahl, die sollte dem König arg lang werden. Schließlich verlor er
die Geduld und ließ einen weiteren Brief hinein bringen. Darin stand für die
Dichterrunde in großen scharf geschnittenen Buchstaben zu lesen, dass ihr König
sich außerstande sehe ihnen Getränke und Nahrung zu bringen, bevor nicht alle
dichterischen Werke vollendet seien, da Speis und Trank bekanntlich keine gute
Dichtung hervor brächten, nur sattes Gerülpste. Vor allem die letzten Worte
erstaunte die Runde sehr, waren sie solch Töne von ihrem König bisher eher
nicht gewöhnt. Und nach einigen hitzigen Wortgefechten einigten sie sich dann
doch auf den Jüngsten unter ihnen, einem wild um sich blickenden Kerl mit
krausen schwarzen Haaren. Der war bereits bekannt für seine sittenlosen Texte
und heftig bösen Attacken gegen den König.
Als
der König diesen nun heraus treten sah, war ihm der so recht wie die Anderen,
lud ihn zur Tafel und siehe da, der junge Mann hatte Appetit und sagte auch bei
dem Wein nicht nein. Diesem Dichter schenkte
er nach dem Mahl ein Gefängnis, in dem der fortan wohnen aber jederzeit raus
und rein konnte, im Gegensatz zu den anderen Gefangenen. Der Dichter war
begeistert und lobte fortan den König nur noch als mehr als weisen Mann.
Der
König aber, wieder alleine und lange wartend, wusste sich ob seiner Dichter
keinen Reim. Wieso wählten die nicht einfach einen nach dem anderen raus? Wo
konnte da ein Problem für sie sein, was für ein Hindernis?
Er
kannte seine Dichter eben doch nicht gut genug. Die Restlichen wählten alle nur
sich selbst und wollten keinem anderen den Vortritt lassen. Sie wählten und
wählten und jedes Mal bekam jeder und jede nur eine Stimme.
Wir
normalen, nicht der Dichtkunst so fähigen Leute, hätten daraufhin, alleine des
Hungers und des Durstes wegen, wohl unsere Strategie gewechselt. Nicht so aber
diese Poeten. Die wählten und wählten,
schrieben, diskutierten, stritten und wählten.
Der
König wurde darüber sehr zornig und rief in seiner Wut: „Dann sollen sie eben alle verdursten und
verhungern!“ Auch diese Botschaft ließ er auf Pergament groß und gestochen
geschrieben zu ihnen bringen.
Nun
kannte auch deren Empörung und Wut keine Grenzen mehr, sie schrien und
schimpften, schrieben grimmige, böse, verletzende Theaterstücke, Gedichte und
Romane gegen ihn. Vergaßen darüber das Wählen
und den Hunger, bis der Mangel an nahrhafter Stärkung sie erschöpft vor den Spiegeln
niedergleiten ließ. Da konnten sie sich in Ruhe mit müden, sterbenden Augen
betrachten. Ein jeder und eine jede versuchte noch ein stolzes Lächeln auf das
bereits bleiche und bis auf die Knochen abgemagerte Gesicht zu zaubern und
verschied.
Das
Malheur für den König war dann doch sehr anders, als er es gewollt hatte.
Traurig ließ er die Dichterrunde in ein gemeinsames Großgrab legen und schenkte
ihnen ein riesiges Denkmal mit der Aufschrift „Hier ruht des Landes ganzer
Stolz und Dichtung, möge sie in Frieden ruhen und nie vergessen sein.“
Kurz
darauf verschieden auch der alte Dichter und die Dichterin. Nur der junge
Dichter lebte noch eine Weile fröhlich in seinem Gefängnis vor sich hin, bis er
eines Tages auf die verrückte Idee kam, einen Tag lang mit einem der Gefangenen
des Königs tauschen zu dürfen. Der Gefangene war begeistert und verließ
unverzüglich das Gefängnis, suchte keineswegs die Dichtung, nur das Weite. Als
der König davon erfuhr und davon, dass die Wächter ohne Ersatzgefangenen den
Dichter nicht freilassen mochte, war es zu spät. Der junge Dichter hatte sich
mit einer Scherbe bereits die Kehle durchtrennt und mit seinem Blut mit letzter
poetisch bereits stark geschwächter Kraft an die Wand geschrieben:
„Für
Dich mein weiser König
opfere
ich gern mein junges Leben
der
Du hast dem Land und
uns
Dichtern so viel gegeben“
Der König war daraufhin sehr traurig und sehnte sich seine Dichter zurück, mochte
nicht länger nur in ihren alten Werken lesen. Noch schlimmer aber erging es seinem Volk,
dass nun an von niemandem mehr das Volk der Dichter geheißen. Man las wie
anderswo nur noch in Briefen, das auch selten, Nachrichten in den Anzeigenblättern
und schwer verständliche Fachbücher und Magazine, was einer halt so muss und
braucht, der nicht dichtend ernähren kann sein Leben.
Eines
Tages aber, nach mehr als vielen hundert Jahren, begann eine junge
Bauerstochter auf ihrem Trecker Gedichte zu verfassen, die reinste Poesie, voll
mit Blumen, Bäumen, Herz und Schmerz. Als das ihr Vater mitbekam, schlug er ihr
den Apple-Ipod aus der Hand und verbat ihr, damit je zum König oder sonst wo
hin zu gehen.
„Du
weißt doch, wie der König damals seine ach so geliebten Dichter verhungern und
verdursten ließ!“
„Aber
unser Volk, das sehnt sich doch nach Literatur und Dichtern zurück.“
„Wie
kommst Du auf diesen Schmarrn. Hier seht sich keiner nach Dichtung. Die füllt
nur den Geist mit Schwachsinn und nicht den Magen. Achte lieber auf die
Furchen, die Dein Trecker fährt.“
„Aber
Vater, der König ist seit Jahrhunderten tot und außerdem haben wir längst die
Demokratie hier im Land!“
„Umso
schlimmer, weißt Du wie die Politiker sind, die jetzt die Macht haben? Also, vergiss
es besser und vor allem schnell mein Kind!“
Und so kam es, dass in diesem Märchen keine
junge Maid das Königreich oder die Dichtung dem Land rettete. Schade drum. Obwohl,
das Volk ja, aber der König und die Politiker tun mir weniger leid. Hoffe
inständig und sehr, dass sie diese Zeilen hier nicht als Zeugnis meines heimlichen
Dichterseins auffassen und nach mir rufen lassen.
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