Kennen
Sie Simenon? Kennen Sie Maigret? Bevor ich sie kennen lernte, so richtig kennen
lernte, war ich eine ganz normal scheiternde literarische Existenz inmitten ganz
normal gescheiterter und halbwegs erfolgreicher Schreiber von allem, was sich
formal absondern lässt, lebte spätpupertierend genusssüchtig in dem dazu
passenden Viertel halbwegs genährt und finanziell auf wenn auch niedrigem
Niveau mit dem Nötigsten versorgt, soweit ganz glücklich von Tag zu Tag, hockte
mit den anderen im eigenen Künstlerhaus zusammen mit denen von der bildenden
Kunst die Tage schwatzend, kochend, trinkend angenehm weg und las alles
unbesorgt möglicher Folgen.
Bis
ich auf sie traf: auf Simenon und seinen Maigret.
Hatte
ich bis dahin immerhin fast jeden dritten Tag einen Einfall und nach einer
Woche mindestens ein Textchen mir abgequält oder im Rausch runter gerotzt, so
sollte sich das und noch mehr jetzt ändern, nicht sofort ganz, langsamer, aber
von Tag zu Tag mehr.
Dabei
kannte ich zumindest Maigret schon länger, als beleibten Pfeifenraucher in
schwarz-weiß, an Samstagen kam er, glaube ich, im Fernsehen als Krimiserie mit Rubert Davies als Darsteller. Jean Gabin und Heinz Rühmann haben mir in der Rolle nie so gefallen. Auf jeden Fall ein
spießiger, alles sofort und besser wissender autoritärer Mann, immerhin dabei
ruhig aber auch alle einschüchternd durch Blicke und Gesten.
Die
Bücher kamen zu meinem späteren Unglück in einer neuen Übersetzung ausgerechnet
bei meinem damals frisch gefundenen, neuen Lieblingsverlag aus der Schweiz, dem
Diogenes Verlag, heraus. Ja Diogenes, der Name war hier glatte Schizophrenie,
zumindest ein Widerspruch. Hatte der nicht gesagt: „Störe meine Kreise nicht.“
Das war Archimedes, na gut. Und das hätte ich tun sollen oder sagen wie
Diogenes, das hat er gesagt, da bin ich mir sicher, zu Simenon und Maigret:
„Geht mir ein wenig aus der Sonne.“ Hätte mir viel Leid erspart.
Stattdessen
las ich, jeden Tag mehr, kaufte ein Buch nach dem anderen, gab ja genügend,
ging nicht mehr vor die Tür, las und las. Kroch mit Maigret in die Atmosphäre von Opfer und Täter, roch bald alles so wie er und begann wie er jeweils ein passendes Getränk beim Lesen mir ein zu flößen. Ich stieg in die Gefühle und Gedanken mit ein, machte mich so sehend und hörend wie er, ohne einen einzigen Fall lösen zu können vor ihm.
Zu
Beginn war es noch die große Freude, gelungene Geschichten lesen zu können, wo
kein Wort zu viel oder falsch gesetzt war, hautnah an der Wirklichkeit und doch
pure Fiction, literarische Magie. Auch waren wir damals alle noch mehr frankophil
als „Toskana-Fraktion“, hörten Chansons und sahen Filme von Godard, Truffaut, Ophüls, Malle
oder Chabrol.
Ich
merkte bald, dass mir selber keine Freude mehr kam bei meinen eigenen Sätzen
und Zeilen. Nichts genügte mir mehr bei dem Vergleich. Ließ ich es also und
dachte, pausiere ich halt. Aber es kam noch schlimmer.
Simenon
und Maigret saugten mich gerade zu in diese bürgerlich miefige Welt Maigrets,
in das Paris der Heuchler, Versager, Bürokraten und Diener, ein Paris ohne
Charme, Chic oder gar fröhlicher Erotik. Es war ein Paris und auch Frankreich
auf dem Lande voller alter Mauern, geschlossener Fenster und Misstrauen mit
verbitterten Existenzen, verkrampfter Glückssuche im Kleinen, ohne jede Hoffnung
auf Befreiung, echtes freies Glück und wer es doch mal bekam, verlor es meist binnen
Stunden samt Leben.
Es
ist zu erahnen: ich wurde schwermütig, regelrecht depressiv, träumte nur noch
schlecht, bekam den großen Druck auf Hals und Brust und mein Herz schien nur
noch mit Mühe zu schlagen. Nichts schmeckte mir noch und jede Bewegung erschien
mir überflüssig und zu qualvoll. Bis ich eines Tages davon und von mir selbst
genug hatte, alle Bücher von Simenon mit Maigret in einen großen Karton warf
und drei Straßen weiter zu einem gescheiten Kollegen brachte, der gerade dabei
war die Literaturbühne zu betreten.
Ich
schenkte ihm die Bücher, lobte Simenon, lobte Maigret, aber nicht ohne ihn zu
warnen, nicht zu viel auf einmal davon zu lesen. Gefahr der Depression.
Danach
gelang es mir trotzdem lange nicht wieder zu schreiben. Jedes Mal standen mir
die Texte von Simenon dagegen. So ließ ich das und wendete mich anderen und
ertragreicheren Beschäftigungen zu, sehr zur Freude meiner Familie.
Ab
und zu erkundigte ich mich nach dem Befinden des Kollegen, traute mich nach ein
paar Monaten und beruhigenden Nachrichten auch mal wieder hin zu ihm, wo ich
ihn unverändert und auch noch dankbar antraf. Ja, wären wirklich hervorragend,
Simenon und sein Maigret.
Ich
selber las danach die Krimis von Chandler und Hammet, dies mit viel Vergnügen
an ihrer Sprache und Erzählkunst, ebenfalls von so hervorragender literarischer
Qualität, dass ich weiterhin nicht mehr selber schreiben mochte, las dankbar
alles von ihnen, vor allem, weil ich durch sie nicht depressiv wurde, nur sanft
melancholisch und damit lässt sich gut am Leben bleiben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen