Sein
Fahrrad surrt, während er bedächtig in die Pedale tritt, mit ihm an den neuen,
jedes für sich stehenden, Einfamilienhäusern in rot und weiß vorbeifährt bis zu der Abzweigung in die Sackgasse mit den blassrot verklinkerten
Doppelhaushälften einer etwas älteren Generation.
Dort steigt er ab, wie jedes
Mal, schiebt die letzten Meter, macht es seit damals, weiß warum und auch
wieder nicht, denkt schon lange nicht mehr darüber nach.
Das
fünfte Haus lässt ihn stoppen, das Rad zwischen den Stauden für den Frühling
zur Garagentür schieben, nimmt den kleinen Drücker aus der Tasche, lässt das
Garagentor langsam mittels der Elektronik aufgleiten, schiebt sein Rad hinein,
stellt es neben dem Rasenmäher ab. Bleibt einen Moment lang stehen. Sieht zu
dem rot-grünen Gartenschlauch, der sich quer über den grauen Garagenboden schlängelt,
bückt sich, wickelt ihn über seinem rechten Arm auf und hängt ihn zurück an die
Schlauchhalterung neben dem Waschbecken. Bleibt wieder stehen, lauscht, atmet
etwas kräftiger und langsamer, genießt den Moment, schließt sogar die Augen
dafür, öffnet sie wieder und dreht sich um, zurück zum Tor.
Er verlässt die
Garage mit langsamen Schritten, nutzt wieder die Elektronik für das Schließen
und geht zur Haustür. Dort, unter dem kleinen, weiß gestrichenen Holzvordach,
sucht er den Schlüssel in seiner Jackentasche, der hier zur Zeit üblichen Jacke
eines bekannten Herstellers von Outdoorbekleidung für Camper, Wanderer und
Bergsteiger, findet den Schlüssel, steckt ihn ins Schloss, dreht ihn um, wird
am Öffnen der Tür aber durch die Frau gehindert, die bereits die Tür aufreißt.
„Warum
klingelst Du nicht einfach. Du weißt doch, dass ich zu Hause bin.“
„Warum,
ich kann doch selber die Tür öffnen und wollte Dich nicht hochjagen.“
„Wieso
hochjagen? Meinst Du ich liege faul auf der Couch, während Du an Deinem Schreibtisch
sitzt?“
Er
sagt nichts weiter, wartet bis sie ihm eine Lücke zum Vorbeigehen lässt,
schließt hinter sich die Tür zu und zieht seine Jacke aus, hängt sie auf den
Kleiderbügel neben die Jacke seiner Frau, vom gleichen Hersteller mit dem
gleichen Logo am Kragen wie die seine.
„Kannst
Du die Teller eindecken und was zu Trinken aus dem Vorratsraum holen!“
Er
nickt obwohl sie es gar nicht sehen kann, denn sie ist bereits in der Küche,
wendet sich vor der Garderobe zur Vorratskammer, holt eine Flasche
Mineralwasser und eine kleine Flasche Vitaminsaft, geht damit zur Küche.
„Vitaminsaft
steht hier noch. Mach nicht schon wieder eine auf. Ich hasse abgestandenen
Vitaminsaft!“
Er
nickt wieder, stellt beide Flaschen ab und bückt sich zu den Schranktüren
unterhalb ihrer Arbeitsplatte, wie sie die Fläche stolz nennt.
„Ich
brauche neue Messer! Die sind schon wieder alle stumpf!“
„Warum,
die hast Du doch erst vor ein paar Wochen gekauft!“
„Trotzdem.
Taugen nichts mehr. Alles billig, billig!“
„Warum
nimmst Du dann nicht unsere Alten, lässt die schärfen? Nur fünf Häuser weiter
wohnt doch Lohmann, der macht das für alle hier.“
„Wir
sind nicht alle!“
Er
öffnet den Unterschrank, nimmt zwei Teller heraus, schließt die Türen und
stellt die Teller zu den Flaschen.
„Hast
Du das Garagentor wieder geschlossen?“
„Ja!“
„Neulich
hast Du es aber vergessen! Willst Du nicht lieber nochmal nachsehen!“
„Ja,
neulich. Heute aber nicht.“
„Oder
soll ich eben nachsehen?“
„Nein,
mache ich schon.“
Er
dreht sich zur Tür herum, geht durch den Flur zurück zur Haustür, öffnet sie,
geht hinaus.
„Mach
die Tür zu, es zieht, Herrgott!“
Er
hört es nicht mehr, nicht genau genug jedenfalls, geht weiter, überprüft das
Tor, geht zurück, durch die Haustür, schließt sie, kehrt zurück in die Küche.
„Hast
Du die Haustür auch zu gemacht?“
„Ja,
habe ich.“
Er
tritt neben sie, die dort Tomaten mit einem kleinen weißstieligen Messer zu
schneiden versucht, während er an den Besteckkasten will.
„Siehst
Du, wie unscharf es ist?“
Sie
hält es ihm vor das Gesicht. Er kann auf dem Plastikgriff die Spuren von den Reinigungsangriffen
der Spülmaschine sehen und die fast hauchdünne Klinge, die sich bei kleinster Berührung
biegen lässt.
„Billig“,
sagt er und zieht den Besteckkasten auf. „Hier, “ sagt er, „hier sind doch noch
jede Menge andere.“
„Ja,
aber gleich stumpf.“
„Warum
wirfst Du dann diese billigen Dinger nicht einfach weg? Schafft doch auch Platz!“
„Du
willst doch nicht, dass wir dauernd alles wegwerfen! Deine Worte! Da traue ich
mich schon gar nicht.“
„Ich
will nicht, dass wir billigen Schrott kaufen und wegwerfen müssen.“
„Deine
angeblich so guten Messer zu Weihnachten vor fünf Jahren sind aber genau so
stumpf wie hier die Billigen.“
„Dafür
kann man sie schärfen lassen. Bei Lohmann. Dann halten die Jahrzehnte.“
„Hauptsache,
Du hast recht und das letzte Wort!“
Er
holt langsam alle Schälmesser heraus, legt sie nebeneinander auf die Platte vor
den Senseo-Automat.
„Zwölf
Stück und alle stumpf?“
„Ja!“
Sie
hat die Tomaten fertig geschnitten und stellt sie neben die Teller auf den Küchentisch.
„Ich
dachte, Du würdest den Wohnzimmertisch eindecken!“
„Ich
bin dabei, wie Du siehst.“
„Was
hast Du mit den Messern vor?“
„Ich
hänge sie zu den anderen Utensilien an das Gerippe im Garten.“
„Du
mit Deinem angeblichen Kunstwerk. Man muss sich ja schon schämen, wenn Besuch
kommt.“
„Kommt
ja keiner.“
„Nein,
Gott sei Dank!“
„Du
lädst ja lieber immer in eine Gaststätte ein und ich muss es auch tun.“
„Wundert
Dich das wirklich? Außerdem, Mal wird man sich doch noch was leisten können!
Ich habe auch nicht ewig Lust hier in der Küche die Gastgeberin zu spielen mit
Kochen, Putzen, hinterher abwaschen und euren Dreck wegräumen.“
„Wieso
Euren Dreck?“
„Ja,
Ihr macht doch immer Dreck, tretet vom Garten alles ins Haus, krümelt rum,
kleckert mit dem Bier. Richtig unappetitlich sowas!“
„Manchmal
denke ich, wir hätten nach ihrem Tod doch noch mal mit Kindern starten sollen, neu anfangen, ja, ich denke, das wäre gut für uns gewesen.“
„Wieso
das jetzt wieder? Wir wollten beide nicht, damals, hörst Du, beide … wollten …
wir … das nicht!“
„Ja.“
Er
nimmt die Teller, die Flasche mit dem Mineralwasser und trägt alles in die
Wohnstube.
„Du
hast wieder das Besteck vergessen!“
„Hole
ich gleich!“
Er
stellt alles auf die Kommode, zieht eine Schublade auf, holt vier Tischsets
heraus und legt sie auf den Tisch. Nimmt die Fernbedienung, die dort einsam liegt,
in die Hand, drückt den Fernseher an, sucht ein Programm.
„Aber
keinen Krimi!“
Er
nickt und hält den Sendersuchlauf bei einer Dokumentation über die NS-Zeit an, „Hitlers Henker“, sieht amerikanische Aufnahmen nach
der Befreiung von Auschwitz, holt
die Teller und setzt sie behutsam auf die Sets, stellt die Mineralwasserflasche
auf das dritte Set neben die Tomaten, geht zur Glasvitrine, holt zwei Gläser
heraus und stellt sie neben die Teller.
„Du
hast wieder die Untersetzer vergessen.“
Er
will sich zur Kommode zurück drehen.
„Nein,
ich mach schon. Hol Du den Rest aus der Küche.“
Er
nickt und geht zur Küche, holt das Brotkörbchen, stellt die Joghurts zwischen
die Brotscheiben, trägt es so und zwei Teller mit Auflage in das Wohnzimmer zum
Esstisch.
Sie
steht dort noch immer und sieht zum Fernseher.
„Gut,
dass uns das wenigstens erspart geblieben ist.“
„Ja.“
„Wir
haben nur unser Baby verloren.“
„Ja.“
Er
deckt zu Ende und setzt sich auf seine Seite. Sie setzt sich ihm gegenüber.
„Eigentlich
geht es uns doch richtig gut dagegen.“
„Wogegen?“
„Na
gegen die damals, unsere Eltern und Großeltern.“
„Ja.
Dagegen geht es uns gut.“
„Was
Du immer gleich hast? Natürlich geht es uns gut. Und Kinder, das sage ich Dir,
sind auch nicht immer nur Spaß!“
Er
blickt nach unten, runter zu seinen Füßen, sagt leise, kaum hörbar:„Vielleicht
gut, dass unser Kind gestorben ist.“
„Was
hast Du gesagt?!“
„Nichts,
nichts habe ich gesagt. Kam aus dem Fernseher.“
Skeptisch
blickt sie zu dem Flachbildschirm mit dem Aufkleber „HD“.
„Du
kannst jedenfalls sagen was Du willst, uns geht es gut!“
Er
nickt und nimmt sich eine Scheibe Brot.
„Und: Morgen kaufe ich neue Messer.“
„Ja.
Meinetwegen.“
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