Als
der alte Mann zurück in das große Haus kam, hörte er schon auf der Terrasse das
Weinen seines Enkels im Salon. Sofort ging er dort hinein, nach dem Rechten zu
sehen. Er fand seinen Enkel auf den Knien vor den Scherben der großen Vase, die
das Hochzeitsgeschenk für die im letzten Jahr verstorbene Ehefrau gewesen war.
Eine teure Vase, ein wertvolles Geschenk, das sie immer sehr gerne angesehen
und mit schönen Blumen aus ihrem Garten befüllt hatte.
Der
alte Mann setzte sich neben seinen Enkel auf den Boden, achtete nicht auf die
Pfütze, die ihm die Hose durchnässte, nahm seinen Enkel in den Arm und fragte
ihn leise, was denn geschehen sei.
Nur
stockend und immer wieder von kräftigen Schluchzern unterbrochen gelang es dem
Kleinen das Malheur zu berichten, wie er hinter der Katze hergelaufen und
dabei mit dem Ellbogen an die Vase gestoßen sei und sie viel zu groß und viel
zu schwer gewesen für ihn sie in ihrem Flug auf zu fangen und dann sei sie
zerbrochen auf den Fliesen und er schäme sich so.
Der
Alte hörte kaum richtig zu, sah zu dem Fenster hinaus und streichelte dem
weinenden Knaben sanft über das Haar, drückte ihn zärtlich an sich, wenn das
Schluchzen zu stark und der ganze kleine Körper davon durchgeschüttelt wurde.
Schließlich
beruhigte sich das Kind etwas und der alte Mann begann zu sprechen.
„Weißt
Du, diese Vase hier, die hat jetzt keinen Wert mehr. So ist das mit den Dingen.
Irgendwann verlieren wir sie und sie verlieren ihren Wert für uns, mal durch
Zerstörung, mal ganz einfach durch die Zeit. Verstehst Du?“
Der
Junge in seinem Arm nickte tapfer, wusste aber wohl kaum etwas mit diesen
Worten an zu fangen außer, dass der Opa ihm nicht böse zu sein schien wegen des
Unglücks.
„Aber,
mein lieber, lieber Enkel, wir Menschen, wir verlieren nie unseren Wert, hörst
Du, mag man uns auch noch so treten, zerbrechen oder verletzten. Sie mögen uns
klein machen, einsperren, isolieren von anderen, verhöhnen, auslachen. Wir
behalten unseren Wert und der ist unbezahlbar viel höher, als der Wert einer
solchen Vase je sein kann.“
Das
verstand der Junge und er nickte, sah seinen Großvater dankbar an. So saßen sie
eine Weile zusammen inmitten der Scherben, die in der Nachmittagssonne glänzten
und ein letztes Mal die Farbenkunst ihrer Schöpfer zeigten.
Und
da war es, dass der Junge sein von Tränen verschmiertes Gesicht zu dem alten Mann
wandte und sich das erste Mal traute zu fragen, was das für eine merkwürdige
Tätowierung auf dem Arm sei, die der Großvater da habe.
Der
alte Mann sah ruhig in die Augen seines Enkels, die ihn erwartungsvoll ansahen.
Und er erzählte von den Lagern dieses anderen Landes, in dem er aufgewachsen
war, wie er und seine Familie dorthin mit Viehwaggons gebracht worden waren,
die Eltern in Duschräume gehen mussten und nie wieder kamen, da dort kein
Wasser aus den Duschköpfen gekommen war sondern Gas und wie er selber mit den
letzten, fast verhungerten Überlebenden befreit worden war nach langer Zeit und
er als Waise zum Onkel geflogen wurde, der rechtzeitig das Land verlassen
hatte.
Der
alte Mann erzählte es ruhig und ohne Bitterkeit und sein Enkel vergaß die Vase,
sah seinen Großvater traurig an, spürte einen ganz anderen Schmerz, einen, der
viel tiefer saß und die ganze Brust füllte, ein Schmerz von dem er ahnte, dass
der ihn nicht wieder verlassen würde, sein ganzes Leben lang.
Der
Alte aber sah sich wieder als verzweifelten Jungen in Auschwitz den Kopf zum
Himmel richten, mit seinen müden Augen den Kranichen folgen, die dort gen Süden
flogen, dorthin wo wohl noch die Sonne schien.
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