Es
gibt Leute, die müssen überall andere Leute anquatschen. So auch dieser dunkelgelockte
Mittfünfziger im Abteil auf der Strecke
nach München.
Es
gelang ihm mit sanfter Stimme mich in ein Gespräch über das Glück zu
verwickeln. Er selber sah nach etwas Glück im Leben aus. Im gebräunten Gesicht
bildeten sich Lachfältchen um Augen und
Mund ab, es wirkte entspannt und wenig von Schlaflosigkeit geplagt. Ich dagegen
hätte gerne die Zeit für ein Nickerchen genutzt.
Beruflich
tippte ich auf mittleres Bürgertum, Landwirt könnte auch sein. Die sehen im 21.
Jahrhundert ja auch anders aus als früher.
Er
klärte mich natürlich auch darüber auf. Er begann aber mit seiner früheren
Beschäftigung.
„Da
war ich Broker, ein erfolgreicher, oder ist Ihnen Spekulant lieber?“ Meine
Antwort darauf wartete er erst gar nicht ab. Ich hätte eh nur ein Kopfschütteln
zu Stande gebracht.
„Egal,
ich war wie ich war. Sie wissen schon: mein Haus, meine Yacht, meine Frau.
Alles prima, alles bestens. Und dann kam, Sie können es sich bestimmt schon
denken, das Platzen der Börsenblase. Und ich flog raus, verlor die Frau, das
Haus, die Yacht. Immerhin, ich behielt das Leben und floh zurück in das Dorf
meiner Eltern, aus dem ich wenige Jahre zuvor so glücklich entkommen war.
Um
mich neu zu justieren, machte ich lange Spaziergänge in die Umgebung. Wir haben
schöne Berge und Wälder, wissen Sie. Es lohnt sich.
Na
ja, jedenfalls saß ich eines Mittags auf einer Bank und betrachtete einen
antiquarischen Flakon, den ich eigentlich meiner Frau hatte schenken wollen und
der nun vergessen in meiner Manteltasche geruht hatte.
Als
ich ihn vorsichtig aufschraubte und daran riechen wollte, bekam ich, ehrlich,
einen Schupser von dem dünnen Rauch, der plötzlich sich aus dem Fläschchen herauswand.
Etwas irritiert betrachtete ich das Geschehen, wobei ich den Flakon weit von
mir hielt. Der Rauch oder Nebel oder was auch immer formte sich zu einem Wesen
meiner Kinderzeit. So ungefähr hatte ich mir Aladdins kleinen Flaschengeist
damals vorgestellt. Und wie dieser begann auch mein Wesen plötzlich zu
sprechen.“
Nein,
ich war nicht eingeschlafen bei seiner Erzählerei, wenn auch kurz davor. Aber
an dieser Stelle horchte ich doch auf und sah ihn vorsichtig genauer an. Warum
erzählte er mir das? Hielt er mich für ein Kind, dem man die Zugfahrt mit
Märchen verkürzen muss? Er nickte mir zu, als habe er meine Gedanken erraten.
„Ich
weiß, das klingt unglaubwürdig und ist nichts, was wir Erwachsenen uns erzählen
sollten. Aber hören sie mir, bitte, noch etwas weiter zu.
Dieses
Wesen leuchte vor mir her und sprach:“Drei Wünsche, die bring ich Dir. Nicht
einen weniger, nicht einen mehr“.
Sie
können sich meine Verfassung bestimmt vorstellen. Vorsichtig sah ich mich nach
einer versteckten Kamera um und beschloss den Flakon hier zu lassen und fort zu
gehen.
„Stopp,
wünschen musst Du, vorher gehen kannst Du nicht. Wünsch Dir was von meinem
Licht.“
Was
sollte ich tun. Also stieg ich ein in das Spiel und sagte spontan:“ Dann
wünsche ich mir Glück im Leben“, schließlich erinnerte ich mich gut an solche
Märchen und manch unsinnigem Wunsch. Das Wesen schüttelte irgendwas wie einen
Kopf und antwortete: „Das geht leider nicht. Du musst Dir schon was Richtiges
wünschen, eine Villa, ein Schloss oder ein Amt.“
Was
sollte ich mit sowas? Hatte ich das nicht gerade hinter mir. Und jetzt, jetzt
saß ich hier belästigt mit Wünschen, die ich, zu der Zeit jedenfalls, gar nicht
hatte. Ruhe suchte ich, Frieden, eine bessere Partnerin. Ich sagte ihm das und er
meinte das mit der Partnerin ginge, Prinzessinnen hätte er zu Hauf für mich
Angebot.
„Bloß
nicht“, entfuhr es mir entsetzt. „Nicht noch eine!“
„Dann
wünsche Dir halt was anderes, aber mach zu. Die Zeit für Dich läuft sonst ab!“
Irgendwie
traute ich mich nicht, ihn zu fragen wie er das nun meinte. Da kam mir eine
Idee und ich sagte:“Dann wünsche ich mir, dass Du keine Wünsche mehr für mich
hast!“
Sie
hätten das Wesen sehen müssen, es tobte und jaulte erst vor mir, dann um mich
her und verschwand zack, im Flakon, ohne Gruß und letztes Wort.
Allein
saß ich wieder nach dem Spuk auf der Bank und sah hinunter in das Tal. Tja, so
war ich denn faktisch „wunschlos“ und machte mich auf ein neues Glück für mich
zu entdecken.“
Es
reizte mich dann doch ihn zu fragen, ob er denn nun so auf diese merkwürdige
Art und Weise „wunschlos glücklich“ geworden sei?
Er
zuckte mit den Schultern:“Ein bisschen ja, ein bisschen nein. Im Dorf traf ich auf eine alte Schulfreundin,
sie kam gerade von der Meisterprüfung. Tja, und heute ist sie meine Frau und
Chefin. Wir haben die Schlachterei ihrer Eltern übernommen, drei Kinder und ich
stehe im Laden, verkaufe, mache abends die Bücher, bin in drei Vorständen und
an meinem Geburtstag melden ein paar Leute sich. An manchen Tagen kann ich mein
Glück nicht fassen, an anderen lebe ich halt so vor mich hin.“
„Und,
haben sie noch Wünsche?“
„Eigentlich
nur einen, dass es so mit der Familie und allem noch recht lange so geht.“
Als
wir uns in München von einander verabschiedeten, wusste ich zwar immer noch
nicht, warum er ausgerechnet mir das alles erzählt hatte, ging aber etwas
mutiger zur Agentur für Arbeit, wo ich mich wegen drohender Arbeitslosigkeit zu
melden hatte. Unterwegs hatte ich plötzlich sogar Lust ein Lied zu pfeifen.
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