Samstag, 22. Juni 2013

Als der Sommer endlos

Ich wusste nichts und doch alles, was ich zum Leben brauchte, wie ich andererseits noch keinen Menschen brauchte und sie mich auch nicht. Wann er begann, weiß ich eben so wenig wie von seinem Ende, ob langsam im Übergang zu etwas anderem oder schnell, plötzlich, von einem Tag zum anderen: keine Ahnung.
Auf jeden Fall war es so, dass ich und er noch keinen Frühling hatten, nur Winter, nur die Zeit ohne ihn, den Sommer, die wahre Lebenszeit, die große Freiheit, mein großes warmes Meer an Tagen und Stunden, an Zeit für mich, für mich ganz allein.

„Ein Schlüsselkind also,“ sagte mein Psychologe. Mag sein. Das Wort hörte ich auch, aber später, als diese Sommer für mich längst in fortgesetzter Schulkindzeit verschwunden waren. Ich hörte es zuerst, als ich es noch nicht hören sollte, als Getuschel älterer Erwachsener hinter meinem Rücken, später mit mitleidigem Ton, so eine Art Trösterwort, als könnte dies irgendetwas erklären, entschuldigen und zugleich war es stets gegen meine für dieses Schlüsseldasein verantwortlichen Eltern, eigentlich eher unverantwortlichen Eltern gerichtet, als hätte es mir an etwas wichtigem gefehlt.



Nein, mir fehlte nichts. Im Gegenteil, hatte ich doch die ganze Welt für mich, riesig, wunderschön, abwechslungsreich, abenteuerlich und eben wunderschön, für mich damals ohne Worte, aber die brauchte ich dafür ja auch noch nicht, da ich noch niemanden etwas mit zu teilen hatte und auch keiner da war, der gefragt hätte, mehr gefragt hätte als „Na, was hast Du heute so gemacht?“, ohne dass wirklich begierig oder juristisch ernsthaft eine Antwort erwartet worden wäre, die irgendwie eine Bedeutung hätte erreichen können, eine Wichtigkeit wie später. Auch spielten Wahrhaftigkeit oder Wahrheit des Geschehens um mich noch keine Rolle. Ich hätte ruhig ohne schlechtes Gewissen antworten können mit etwas, was ich vor drei Tagen oder vor fünf Wochen gemacht hatte und es wäre genau so gewesen, als hätte ich von dem Tag erzählt, an dem ich abends, meistens beim Abendbrot, wenn der Fernseher noch nicht lief, gefragt worden war.

Zeit existierte nur abends, morgens löste sie sich mit dem Weggang der Eltern zu ihren Arbeitsstätten sofort wieder auf, verschwand mit den Sonnenstrahlen, die ihre bunten Farbtupfer durch die Butzenscheiben im Treppenhaus auf die Bodendielen warfen, zittrig, sprunghaft, so wie ich, der über sie hinweg sprang, die Treppe hinunter, zur Tür hinaus.



Ganz anders der Winter. Da blickten die Butzenscheiben, im Übrigen das einzig Schöne in dem Haus, düsterfarben, der graue Hof, zu denen sie hinuntersahen, noch grauer und weniger einladend als sonst, wo den Katzen ein Sandkasten der mit dunkel gepunkteter Grauerde gefüllt war, das Klo gab und mir die Spielfläche nahm, also mehr Grau als sonst was, auch die Häuserwände, an denen blasse Farbstreifen der Fensterrahmen nur wenig dagegen aus zu richten vermochten.

Winter war öffentliche Reinigungsanstalt mit dem Vater, lauter heiße Gestänge mit Duschköpfen, denn man traute sich wieder unter Duschen, dachte fast schon nicht mehr an die andere Zeit, wusste es schon nicht mehr oder noch nie, was diese Vorrichtungen nur ein paar Jahre vorher für Millionen von Menschen gewesen waren, bedeuteten jetzt stattdessen harmlose Reinigung oder auch Erfrischung, denn viele Männer duschten kalt, wegen der Abhärtung und ihrem Mann sein, bedeuteten für mich beißende Seife, viel zu schwülheißer Dampf und Körperschweiß der nackten Männer um mich herum. Immerhin hatte es mein Vater nicht so mit dem Kaltduschen und so wurde ich ganz natürlich ein Warmduscher, bin es auch heute noch, stehe oft minutenlang nichts tuend oder denkend unter dem warmen , leicht schon heißen Strahl und mein Körper erinnert sich plötzlich an die Wärme der Sommer damals, nicht an die Winter und vielleicht gingen die Warmduscher unter den Männern ja auch gerne deshalb dorthin, ihre Erinnerungen im wahrsten Sinne des Wortes auf zu wärmen. Da liebte ich aber doch eher das Abschruppen in der alten Zinkwanne in unserer großen Küche, die deswegen noch groß war, weil man sich zu Feierabend noch in der Küche aufhielt, nicht in der „guten Stube“, die bei uns schon Wohnzimmer hieß und sehr zum Stolz meines Vaters mit einem Fernseher ausgestattet war, so dass wir bereits unser Abendessen dort und nicht in der Küche einnahmen, in der Küche, deren Luft klar war und sich ohne große Probleme einatmen ließ.

Im Winter war ich Stubenhocker, behauptete auch mein Vater und der meinte das nicht nett, sondern wollte, dass ich aus der Stube raus ginge, an die Luft, in das Leben, was in der Stube offensichtlich nicht stattfand, obwohl wir gar keine Stube hatten, nur Küche, Schlaf- und Wohnzimmer, Klo auf dem Flur, hocken brauchte ich dort auch nicht, konnte auf dem Sofa liegen und auf Sessel und Stühlen sitzen, kurz, das Gesagte des Vaters ergab für mich keinen Sinn, nur eine Aufforderung, der ich nur im Winter ungerne nachgab, konnte ich doch im Fernsehen da besser „Fury“, „Lassie“, „Fuzzy“ und „Texas Rangers“ bei ihrem Leben zu sehen oder mich mittels Klaus Havensteins sanfter, schöner Bassstimme durch seine Sendung „Sport, Spiel, Spannung“ führen lassen. Gut kann ich mich auch erinnern an den Brunnen des Südwestfunks, ein mehrstöckiger Brunnen dessen Wasser dampfend überquoll in stetem Rauschen, und danach kam zum Beispiel „Der kleine Muck“, dessen Leben ich aber traurig fand, wenn auch passend zum Winter.

Der Winter war also nichts für mich, schon gar kein Sommer. Frühling und Herbst nahm ich als eigene Jahreszeiten erst sehr viel später wahr, da waren wir längst von den Bergen fort in die große Stadt gezogen und freuten uns über jedes Blümchen im Vorgarten oder stöhnten über das Laub auf dem Gehweg, dass weggefegt werden musste.

Dafür aber kannte ich ihn, meinen Sommer. Da brauchte ich nie zu überlegen, was ich mit dem Tag anfange ohne Eltern und feste Mahlzeiten mit Stillsitzen, „Gerade sitzen“, ohne Putzgeräusche oder Spielanweisungen. Ich ging stets einfach drauf los, entschied erst auf der Straße, wohin mich meine Füße tragen sollten.
Wobei es mir auch noch völlig egal war, ob es wirklich mein Sommer oder der vom Friseur nebenan war, spielten Mein und Dein, Haben und Nichthaben sowieso keine Rolle, meinetwegen mochte der Sommer allen oder niemanden gehören. Ich genoss ihn einfach, wanderte den Fluss entlang oder zur einen Seite durch die kleinen, ängstlich an die Hänge gedrückten Bergdörfer zur Burgruine oder zur anderen Seite über die Rinderweiden hinauf, wo ich ab und zu kleine Wildblumensträuße für meine Mutter pflückte.

Für mich heute auffallend, damals in keinster Weise, dass sie nie besorgt reagierten, wenn sie doch mal von mir erfuhren, wo ich die Woche über herum strich.  Immerhin waren es einige Kilometer, die ich bisweilen so am Tag zurücklegte.

Sommer war entschieden die Zeit ohne Worte, nur mit Bildern und Tönen gefüllt. Die Worte dafür musste ich mir daher erst später und dann mein Leben lang mühsam suchen. Ich brauchte sie in den Sommern dort einfach nicht. Ich brauchte einen Schlüssel für die Heimkehr, meine blank gescheuerte Lederhose, Sandalen an den Füßen und das war es.



Meine Sommer waren übrigens nie zu heiß, nur warm. Wenn sie doch mal heiß wurden und man mich am Wochenende auch noch in das Schwimmbad schleppte, war mein Sommer gestorben, auf Eis gelegt, soweit sich das über einen Sommer behaupten lässt. Nein, diese Hitze war eklig, stank nach Sonnencreme und führte zu verbrannter Haut und mehreren Tagen in der abgedunkelten Wohnung, trennte mich von meinen Ausflügen, beraubte mich so meiner Freiheit, also wenig sommerlich.

Mein Sommer gestatte mir kurzärmelig oder ganz ohne Hemd auf die Berge zu wandern, klettern ergab sich nicht, an den Brunnen und Bächen Wasser aus der hohlen Hand zu trinken, startete damals spätestens Fronleichnam, wenn im Stadtpark ein paar Ecken mit Blumenblüten und Blättern zu Bildern geschmückt wurden, vor denen die Prozession der Katholiken betete und sang, wenn danach die ersten Handwerksgesellen auftauchten in ihren derben, schwarzen Cordkluften, auf dem Rand des Springbrunnens balancierten, betrunken Lieder grölten und gelegentlich auch in sein Wasser plumpsten.

Sommer war auch, wenn die Pfaue im Kurpark herumstolzierten und die Enten gefüttert werden konnten, dafür, und nur dafür, nahm ich auch mal Brot mit von zu Hause.

Es gab in mir noch nicht diese Gier nach Süßigkeiten, rauchen taten noch nur meine Eltern, allerhöchstens erstand ich mir mal ein Laugenbrötchen, dessen weichen Inhalt ich stets als erstes mit dem Finger raus puhlte und langsam auf der Zunge weich werden ließ, bis ich ihn genüsslich runterschluckte in der frohen Erwartung der leckeren röschen Außenkruste mit ihrem Gemisch von Salz und Hefe im Geschmack, die ich langsam, Stück für Stück abbiss. Ja, Laugenbrötchen waren auch Sommer.

Und meine erste Freundin war natürlich Sommer, wie wir Hand in Hand im Park umher stolzierten oder gemeinsam hoch zu den Weiden. Leider hatten ihre Eltern nur ein Gastspiel in der Stadt und so war sie ein kurzer Sommer.

Verwandte gehörten nicht zum Sommer, denn die hockten alle im finsteren Norden mit seinen Sturmfluten, dem „blanken Hans“ und den vielen Fabriken, deren Schornsteine jeden Sommer verdunkelten. Wir, das heißt meine Eltern und ich auch, hatten hier nur Freunde und die lachten im Sommer viel und so waren auch wir, fröhlich, jung, ja auch meine Eltern waren im Sommer noch jung, ohne Fragen an die Zukunft und ohne Vergangenheit.



Aber, so wie es meine Eltern im Sommer in dieses unselige Schwimmbad trieb, jagte es mich hinauf in die Berge. Wir hatten ja mehr als genug für mich um uns herum. Später zur Auffrischung der Erinnerung zurückgekehrt für ein paar Tage fand ich heraus, dass meine Berge eher Hügel waren, keine Mountains, nicht schroff und kahl knapp unter dem Himmel endend, eher sanft, noch in der höchsten Höhe grün durch Bäume und Gräser, angenehm für Wanderer, nichts für Bergsteiger.

Sommer war im Gras liegen und den Wolken bei ihren Wanderungen über unser langgestrecktes Flusstal zu zu sehen, in ihnen Gesichter zu finden und Gestalten, bisweilen Geschichten, die schneller als beim Fernsehen ihre Szenen wechselten.
Sommer war aber auch Regen, warmer Regen, der so herrlich einerseits erfrischend, andererseits nicht wirklich kalt die Haut liebkoste, Gefühle gab, Lust auf mehr. Im Regen wandern war nicht weniger schön als ohne Regen. Für Gewitter gab es unterwegs genügend Unterstände und so erlebte ich manches Spektakel draußen, wild, gefährlich, vor allem wenn Kugelblitze dabei sein sollten, denn vor denen hatte mich irgendwer mal besonders gewarnt, herrlich wenn der Sturm einen schüttelte und die großen Tropfen platschend den Schweiß von der Haut wuschen.

Ich hatte keine Angst, damals noch nicht, Sterben war weder Wort noch Tat noch Gegenstand. Vor allem nicht im Sommer. Auch Großvater sagte später bei einem Besuch aus irgendeinem Anlass heraus „im Sommer stirbt man nicht.“. Damals war das für mich ohne Frage. Sommer ist Leben, Winter ist Tod.

Unterwegs traf ich nur auf wenig Menschen und die, die ich traf, hatten zu tun, hielten Kunden die Ladentüren auf, fuhren Lieferwagen mit Ladungen von irgendwoher irgendwo hin, weiter oben sichelten sie die Hänge ab, säuberten die Höfe, kippten Mist auf die vor jedem Haus in den Dörfern auf sie wartenden großen gelbgrünen Haufen, aus denen sich langsam verabschiedend Halme heraus sahen, sich ein letztes Mal gen Sonne zu strecken schienen.

Die Menschen die ich sah, grüßte ich und sie grüßten knapp aber freundlich zurück. Wir fingen nichts weiter miteinander an, weder ein Gespräch noch sonst irgendwas, gehörten aber für mich trotzdem irgendwie zusammen hierhin. So wie die ersten Trecker, fast alle noch dunkelgrün, die ihre Stimmen in das Tal knatterten, meistens aber zogen noch stämmige Pferde das landwirtschaftliche Gerät, wieherten selten, kein Vergleich mit Fury und seiner Herde, wenn die zu Beginn der Filme mit donnernden Hufen durch eine Senke in die kleine Tallichtung galoppierten.

Zum Sommer gehörten auch die Gerüche aus den Ställen, das Quieken der Schweine, das Schnattern der Gänse und natürlich die herrische Kräherei der Hähne. Das alles bereicherte die Musik des Tals, zu der das ferne Summen der Autobahn hinzu kam, ein schwaches, fast stotterndes Summen, kein Vergleich mit heute, wo sie fast Stoßstange an Stoßstange über die Talbrücke brummen.
Tischler sägten dazu, in den Autowerkstätten hämmerte es und bisweilen vernahm  ich auch schlecht geölte Maschinen und das Hüpfen der Kisten auf den Lkws wenn die über das Kopfsteinpflaster röhrten.

Sommer war nie leise, aber auch nicht laut. Es war eine besondere Symphonie, die ich verstand und der ich stets zu lauschen mochte, komponiert von Geisterhand, ausgeführt von mir bekannten Räumen und ihren Geräten, Gestalten und Gesellen und als I-Tüpfelchen sang auch mal ein Mensch oder pfiff sich eine Melodie.
Auch höher hinauf wurde es nie still. Dann überwogen die Vögel mit ihren so unterschiedlichen Stimmen, das Rauschen der Zweige, das Knacken und Ächzen vom verspielten Wind in den Ästen, das Plätschern der Bäche.

Bei alledem lernte ich nie etwas, jedenfalls nicht in Worten, was mir später vielleicht sehr geholfen hätte. Niemand klärte mich auf über die Vögel, die Bäume und Blumen, niemand gab mir ihre Namen preis, und da ich nicht lesen konnte, erfuhr ich auch nicht die Namen der Dörfer. Ich lernte nicht, sammelte einfach nur Gerüche, Klänge und Bilder, sammelte sie wenn möglich täglich ohne Übersättigung, ohne Langeweile, fand sie immer neu und aufregend und wäre nicht auf die Idee gekommen, sie verlieren zu können, ihre Namen wissen zu müssen und dann auch noch zu schreiben.

Liegen im Gras, zwischen Gänseblümchen und Butterblumen, durch die Gräser blinzeln, den Himmel betrachten, dann wieder weiter wandern, immer weiter, durch die Bäume, den Windungen der schmalen, noch nicht für die späteren Fahrzeugkolonnen ausgebauten Straßen, immer weiter folgend, bis ich auf der anderen Seite des Berges den Hang des nächsten Berges erblicken und bewundern konnte, meine Freiheit so genießen, mit der Luft zusammen, die hier oben mir immer etwas klarer und sauberer erschien, einatmen, frei verweilen oder gleich weiter ziehen, den nächsten Hang hinauf, zwischen Straßen, Wald und Weideflächen wechselnd wie ich gerade Lust bekam.

Sommer hatte kein Wetter, war eben warm, kalt, nass wie es so kam. Und ich war nur aus meiner heutigen Sicht reich, damals aber weder arm noch reich, noch sonst irgendetwas, einfach nur ich und alles war gut, so wie es war.

Schön war im Sommer auch die kleine Stadt, in der schon nichts mehr von dem schrecklichen Krieg verriet, von dem meine Mutter, nur die, noch manchmal sprach, eher weinte, schluchzte, sehr zum Verdruss meines Vaters, der davon nichts mehr hören wollte, auch nichts mehr von dem jungen U-Boot-Kadetten, der nun irgendwo auf dem Grunde eines weit entfernten Meeres lag, schließlich habe sie ja nun ihn, und er sei ja auch was. Solche Gespräche waren nie für mich, hörte ich nur, weiß auch nicht, warum was davon in mir hängen blieb. Vielleicht machte es die Wiederholung über die Jahre hinweg.

Die kleine Stadt jedenfalls, die sich auf der einen Seite des Flusses bemühte Arbeit und Leben zu sein, Gestalt und Bühne, blitzte und leuchtete in den Sommer, strahlte mich aus jedem ihrer frischen Schaufenster an, leuchtete mir von den Blumenkübeln farbenfroh entgegen, gab mir lächelnde Fußgänger, niemand, der mit Hektik hier vorwärts trieb, alles eher wie im Spiel, die Erwachsenen wie wir Kinder, alle ohne Auftrag, ohne Zwang, einfach nur Bummelanten, spielende Menschen zwischen Türen und Fenstern.

Autos gab es noch wenig und so gehörten die Straßen des Städtchens noch uns Menschen, wo die Kinderwagen in der Überzahl waren gegenüber den motorisierten Fahrexemplaren.

Natürlich trieb ich mich auch mit Freunden rum, Jungs aus der Straße, aber ebenso gerne war ich auch alleine unterwegs. Waren wir zusammen, balgten wir uns meist und die Wiesen wurden zu unseren Kampfplätzen. Oder wir durchwühlten Papierkörbe in der Hoffnung auf Flaschenpfand, dass wir dann in Brötchen verwandelten, wenn Wochenmarkt war sogar in Brezeln, die wir auseinander rissen und für das höchste Glück auf Erden hielten, neben einer Flasche Bluna, die es für uns nur gab bei Ausflügen mit den Eltern.

Zu Geld hatten wir noch gar keine Beziehung. Einmal wollte ich mit fünf Pfennig ein rotes Rad mit Stützrädern aus dem Schaufenster kaufen und war arg verwundert, dass das nicht möglich sei. Ich verkraftete es ohne große Blessuren und zog mit meinem Tretroller weiter durch die Gassen.



Es geschah nie wirklich etwas und doch alles, was mir genug aufregend für mich erschien, nichts aber, was sich hier spannend und als flüssige Geschichte erzählen ließe, überhaupt hatte der Sommer nur sich, wie ein Rad, ein Kreisel, nichts begann, nichts endete, alles geschah nur einfach so hinter einander weg. Alles geschah in der Endlosschleife. Und verschwand, wie meine Kindheit, meine Jugend, diese unglaublich ausreichende Kraft für alles verschwand, die Wärme im Meer der Sommerstunden und –tage verschwand, ich selbst mir verschwand über lange Jahre, warum mein Psychologe nun meint, es wäre an der Zeit mich wieder zu finden und auf zu suchen, leise zu befragen, wer das einst war, dieser kleine Steppke mit seiner heißgeliebten Lederhose in den warmen Sommern in den Bergen.

Und wieder merke ich das Verschwinden der Worte, je näher ich an diese, seine, meine Sommer gerate, und dass ich morgen meinem Psychologen wahrscheinlich wie schon meinen Eltern früher nichts von alledem erzählen kann.

Wäre ich Maler geworden, könnte ich ihm wahrscheinlich unzählige Bilder liefern oder Musiker, dann hätte ich für ihn viele Töne von damals. So aber stehe ich dank ihm und seinem Auftrag nur am Ende aller meiner Worte vor den Sommern, jener, die endlos waren.


Und vermisse die Lederhose, die Sandalen, die Füße und Beine, die mich damals so beschwerdefrei überall hin gebracht haben.

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