Ich
wusste nichts und doch alles, was ich zum Leben brauchte, wie ich andererseits
noch keinen Menschen brauchte und sie mich auch nicht. Wann er begann, weiß ich
eben so wenig wie von seinem Ende, ob langsam im Übergang zu etwas anderem oder
schnell, plötzlich, von einem Tag zum anderen: keine Ahnung.
Auf
jeden Fall war es so, dass ich und er noch keinen Frühling hatten, nur Winter,
nur die Zeit ohne ihn, den Sommer, die wahre Lebenszeit, die große Freiheit,
mein großes warmes Meer an Tagen und Stunden, an Zeit für mich, für mich ganz
allein.
„Ein
Schlüsselkind also,“ sagte mein Psychologe. Mag sein. Das Wort hörte ich auch,
aber später, als diese Sommer für mich längst in fortgesetzter Schulkindzeit
verschwunden waren. Ich hörte es zuerst, als ich es noch nicht hören sollte, als
Getuschel älterer Erwachsener hinter meinem Rücken, später mit mitleidigem Ton,
so eine Art Trösterwort, als könnte dies irgendetwas erklären, entschuldigen
und zugleich war es stets gegen meine für dieses Schlüsseldasein
verantwortlichen Eltern, eigentlich eher unverantwortlichen Eltern gerichtet,
als hätte es mir an etwas wichtigem gefehlt.
Nein,
mir fehlte nichts. Im Gegenteil, hatte ich doch die ganze Welt für mich,
riesig, wunderschön, abwechslungsreich, abenteuerlich und eben wunderschön, für
mich damals ohne Worte, aber die brauchte ich dafür ja auch noch nicht, da ich
noch niemanden etwas mit zu teilen hatte und auch keiner da war, der gefragt
hätte, mehr gefragt hätte als „Na, was hast Du heute so gemacht?“, ohne dass
wirklich begierig oder juristisch ernsthaft eine Antwort erwartet worden wäre,
die irgendwie eine Bedeutung hätte erreichen können, eine Wichtigkeit wie
später. Auch spielten Wahrhaftigkeit oder Wahrheit des Geschehens um mich noch
keine Rolle. Ich hätte ruhig ohne schlechtes Gewissen antworten können mit
etwas, was ich vor drei Tagen oder vor fünf Wochen gemacht hatte und es wäre
genau so gewesen, als hätte ich von dem Tag erzählt, an dem ich abends,
meistens beim Abendbrot, wenn der Fernseher noch nicht lief, gefragt worden
war.
Zeit
existierte nur abends, morgens löste sie sich mit dem Weggang der Eltern zu
ihren Arbeitsstätten sofort wieder auf, verschwand mit den Sonnenstrahlen, die
ihre bunten Farbtupfer durch die Butzenscheiben im Treppenhaus auf die
Bodendielen warfen, zittrig, sprunghaft, so wie ich, der über sie hinweg
sprang, die Treppe hinunter, zur Tür hinaus.
Ganz
anders der Winter. Da blickten die Butzenscheiben, im Übrigen das einzig Schöne
in dem Haus, düsterfarben, der graue Hof, zu denen sie hinuntersahen, noch
grauer und weniger einladend als sonst, wo den Katzen ein Sandkasten der mit dunkel gepunkteter
Grauerde gefüllt war, das Klo gab und mir die Spielfläche nahm, also mehr Grau
als sonst was, auch die Häuserwände, an denen blasse Farbstreifen der
Fensterrahmen nur wenig dagegen aus zu richten vermochten.
Winter
war öffentliche Reinigungsanstalt mit dem Vater, lauter heiße Gestänge mit
Duschköpfen, denn man traute sich wieder unter Duschen, dachte fast schon nicht
mehr an die andere Zeit, wusste es schon nicht mehr oder noch nie, was diese
Vorrichtungen nur ein paar Jahre vorher für Millionen von Menschen gewesen waren, bedeuteten
jetzt stattdessen harmlose Reinigung oder auch Erfrischung, denn viele Männer
duschten kalt, wegen der Abhärtung und ihrem Mann sein, bedeuteten für mich beißende
Seife, viel zu schwülheißer Dampf und Körperschweiß der nackten Männer um mich
herum. Immerhin hatte es mein Vater nicht so mit dem Kaltduschen und so wurde
ich ganz natürlich ein Warmduscher, bin es auch heute noch, stehe oft
minutenlang nichts tuend oder denkend unter dem warmen , leicht schon heißen
Strahl und mein Körper erinnert sich plötzlich an die Wärme der Sommer damals,
nicht an die Winter und vielleicht gingen die Warmduscher unter den Männern ja
auch gerne deshalb dorthin, ihre Erinnerungen im wahrsten Sinne des Wortes auf
zu wärmen. Da liebte ich aber doch eher das Abschruppen in der alten Zinkwanne
in unserer großen Küche, die deswegen noch groß war, weil man sich zu
Feierabend noch in der Küche aufhielt, nicht in der „guten Stube“, die bei uns
schon Wohnzimmer hieß und sehr zum Stolz meines Vaters mit einem Fernseher
ausgestattet war, so dass wir bereits unser Abendessen dort und nicht in der
Küche einnahmen, in der Küche, deren Luft klar war und sich ohne große Probleme
einatmen ließ.
Im
Winter war ich Stubenhocker, behauptete auch mein Vater und der meinte das
nicht nett, sondern wollte, dass ich aus der Stube raus ginge, an die Luft, in
das Leben, was in der Stube offensichtlich nicht stattfand, obwohl wir gar
keine Stube hatten, nur Küche, Schlaf- und Wohnzimmer, Klo auf dem Flur, hocken
brauchte ich dort auch nicht, konnte auf dem Sofa liegen und auf Sessel und
Stühlen sitzen, kurz, das Gesagte des Vaters ergab für mich keinen Sinn, nur
eine Aufforderung, der ich nur im Winter ungerne nachgab, konnte ich doch im
Fernsehen da besser „Fury“, „Lassie“, „Fuzzy“ und „Texas Rangers“ bei ihrem
Leben zu sehen oder mich mittels Klaus Havensteins sanfter, schöner Bassstimme
durch seine Sendung „Sport, Spiel, Spannung“ führen lassen. Gut kann ich mich
auch erinnern an den Brunnen des Südwestfunks, ein mehrstöckiger Brunnen dessen
Wasser dampfend überquoll in stetem Rauschen, und danach kam zum Beispiel „Der
kleine Muck“, dessen Leben ich aber traurig fand, wenn auch passend zum Winter.
Der
Winter war also nichts für mich, schon gar kein Sommer. Frühling und Herbst
nahm ich als eigene Jahreszeiten erst sehr viel später wahr, da waren wir
längst von den Bergen fort in die große Stadt gezogen und freuten uns über
jedes Blümchen im Vorgarten oder stöhnten über das Laub auf dem Gehweg, dass
weggefegt werden musste.
Dafür
aber kannte ich ihn, meinen Sommer. Da brauchte ich nie zu überlegen, was ich
mit dem Tag anfange ohne Eltern und feste Mahlzeiten mit Stillsitzen, „Gerade sitzen“,
ohne Putzgeräusche oder Spielanweisungen. Ich ging stets einfach drauf los,
entschied erst auf der Straße, wohin mich meine Füße tragen sollten.
Wobei
es mir auch noch völlig egal war, ob es wirklich mein Sommer oder der vom Friseur
nebenan war, spielten Mein und Dein, Haben und Nichthaben sowieso keine Rolle,
meinetwegen mochte der Sommer allen oder niemanden gehören. Ich genoss ihn
einfach, wanderte den Fluss entlang oder zur einen Seite durch die kleinen,
ängstlich an die Hänge gedrückten Bergdörfer zur Burgruine oder zur anderen
Seite über die Rinderweiden hinauf, wo ich ab und zu kleine Wildblumensträuße
für meine Mutter pflückte.
Für
mich heute auffallend, damals in keinster Weise, dass sie nie besorgt
reagierten, wenn sie doch mal von mir erfuhren, wo ich die Woche über herum strich. Immerhin waren es einige Kilometer, die ich bisweilen so am Tag
zurücklegte.
Sommer
war entschieden die Zeit ohne Worte, nur mit Bildern und Tönen gefüllt. Die
Worte dafür musste ich mir daher erst später und dann mein Leben lang mühsam suchen.
Ich brauchte sie in den Sommern dort einfach nicht. Ich brauchte einen
Schlüssel für die Heimkehr, meine blank gescheuerte Lederhose, Sandalen an den
Füßen und das war es.
Meine
Sommer waren übrigens nie zu heiß, nur warm. Wenn sie doch mal heiß wurden und
man mich am Wochenende auch noch in das Schwimmbad schleppte, war mein Sommer
gestorben, auf Eis gelegt, soweit sich das über einen Sommer behaupten lässt.
Nein, diese Hitze war eklig, stank nach Sonnencreme und führte zu verbrannter
Haut und mehreren Tagen in der abgedunkelten Wohnung, trennte mich von meinen
Ausflügen, beraubte mich so meiner Freiheit, also wenig sommerlich.
Mein
Sommer gestatte mir kurzärmelig oder ganz ohne Hemd auf die Berge zu wandern,
klettern ergab sich nicht, an den Brunnen und Bächen Wasser aus der hohlen Hand
zu trinken, startete damals spätestens Fronleichnam, wenn im Stadtpark ein paar
Ecken mit Blumenblüten und Blättern zu Bildern geschmückt wurden, vor denen die
Prozession der Katholiken betete und sang, wenn danach die ersten
Handwerksgesellen auftauchten in ihren derben, schwarzen Cordkluften, auf dem
Rand des Springbrunnens balancierten, betrunken Lieder grölten und gelegentlich
auch in sein Wasser plumpsten.
Sommer
war auch, wenn die Pfaue im Kurpark herumstolzierten und die Enten gefüttert
werden konnten, dafür, und nur dafür, nahm ich auch mal Brot mit von zu Hause.
Es
gab in mir noch nicht diese Gier nach Süßigkeiten, rauchen taten noch nur meine
Eltern, allerhöchstens erstand ich mir mal ein Laugenbrötchen, dessen weichen
Inhalt ich stets als erstes mit dem Finger raus puhlte und langsam auf der Zunge
weich werden ließ, bis ich ihn genüsslich runterschluckte in der frohen Erwartung
der leckeren röschen Außenkruste mit ihrem Gemisch von Salz und Hefe im
Geschmack, die ich langsam, Stück für Stück abbiss. Ja, Laugenbrötchen waren
auch Sommer.
Und
meine erste Freundin war natürlich Sommer, wie wir Hand in Hand im Park umher
stolzierten oder gemeinsam hoch zu den Weiden. Leider hatten ihre Eltern nur
ein Gastspiel in der Stadt und so war sie ein kurzer Sommer.
Verwandte
gehörten nicht zum Sommer, denn die hockten alle im finsteren Norden mit seinen
Sturmfluten, dem „blanken Hans“ und den vielen Fabriken, deren Schornsteine
jeden Sommer verdunkelten. Wir, das heißt meine Eltern und ich auch, hatten
hier nur Freunde und die lachten im Sommer viel und so waren auch wir,
fröhlich, jung, ja auch meine Eltern waren im Sommer noch jung, ohne Fragen an
die Zukunft und ohne Vergangenheit.
Aber,
so wie es meine Eltern im Sommer in dieses unselige Schwimmbad trieb, jagte es
mich hinauf in die Berge. Wir hatten ja mehr als genug für mich um uns herum. Später
zur Auffrischung der Erinnerung zurückgekehrt für ein paar Tage fand ich
heraus, dass meine Berge eher Hügel waren, keine Mountains, nicht schroff und
kahl knapp unter dem Himmel endend, eher sanft, noch in der höchsten Höhe grün
durch Bäume und Gräser, angenehm für Wanderer, nichts für Bergsteiger.
Sommer
war im Gras liegen und den Wolken bei ihren Wanderungen über unser langgestrecktes
Flusstal zu zu sehen, in ihnen Gesichter zu finden und Gestalten, bisweilen
Geschichten, die schneller als beim Fernsehen ihre Szenen wechselten.
Sommer
war aber auch Regen, warmer Regen, der so herrlich einerseits erfrischend,
andererseits nicht wirklich kalt die Haut liebkoste, Gefühle gab, Lust auf
mehr. Im Regen wandern war nicht weniger schön als ohne Regen. Für Gewitter gab
es unterwegs genügend Unterstände und so erlebte ich manches Spektakel draußen,
wild, gefährlich, vor allem wenn Kugelblitze dabei sein sollten, denn vor denen
hatte mich irgendwer mal besonders gewarnt, herrlich wenn der Sturm einen
schüttelte und die großen Tropfen platschend den Schweiß von der Haut wuschen.
Ich
hatte keine Angst, damals noch nicht, Sterben war weder Wort noch Tat noch
Gegenstand. Vor allem nicht im Sommer. Auch Großvater sagte später bei einem
Besuch aus irgendeinem Anlass heraus „im Sommer stirbt man nicht.“. Damals war
das für mich ohne Frage. Sommer ist Leben, Winter ist Tod.
Unterwegs
traf ich nur auf wenig Menschen und die, die ich traf, hatten zu tun, hielten Kunden
die Ladentüren auf, fuhren Lieferwagen mit Ladungen von irgendwoher irgendwo
hin, weiter oben sichelten sie die Hänge ab, säuberten die Höfe, kippten Mist
auf die vor jedem Haus in den Dörfern auf sie wartenden großen gelbgrünen
Haufen, aus denen sich langsam verabschiedend Halme heraus sahen, sich ein
letztes Mal gen Sonne zu strecken schienen.
Die
Menschen die ich sah, grüßte ich und sie grüßten knapp aber freundlich zurück.
Wir fingen nichts weiter miteinander an, weder ein Gespräch noch sonst
irgendwas, gehörten aber für mich trotzdem irgendwie zusammen hierhin. So wie die
ersten Trecker, fast alle noch dunkelgrün, die ihre Stimmen in das Tal knatterten,
meistens aber zogen noch stämmige Pferde das landwirtschaftliche Gerät,
wieherten selten, kein Vergleich mit Fury und seiner Herde, wenn die zu Beginn
der Filme mit donnernden Hufen durch eine Senke in die kleine Tallichtung
galoppierten.
Zum
Sommer gehörten auch die Gerüche aus den Ställen, das Quieken der Schweine, das
Schnattern der Gänse und natürlich die herrische Kräherei der Hähne. Das alles
bereicherte die Musik des Tals, zu der das ferne Summen der Autobahn hinzu kam,
ein schwaches, fast stotterndes Summen, kein Vergleich mit heute, wo sie fast
Stoßstange an Stoßstange über die Talbrücke brummen.
Tischler
sägten dazu, in den Autowerkstätten hämmerte es und bisweilen vernahm ich auch schlecht geölte Maschinen und das
Hüpfen der Kisten auf den Lkws wenn die über das Kopfsteinpflaster röhrten.
Sommer
war nie leise, aber auch nicht laut. Es war eine besondere Symphonie, die ich
verstand und der ich stets zu lauschen mochte, komponiert von Geisterhand,
ausgeführt von mir bekannten Räumen und ihren Geräten, Gestalten und Gesellen
und als I-Tüpfelchen sang auch mal ein Mensch oder pfiff sich eine Melodie.
Auch
höher hinauf wurde es nie still. Dann überwogen die Vögel mit ihren so
unterschiedlichen Stimmen, das Rauschen der Zweige, das Knacken und Ächzen vom
verspielten Wind in den Ästen, das Plätschern der Bäche.
Bei
alledem lernte ich nie etwas, jedenfalls nicht in Worten, was mir später
vielleicht sehr geholfen hätte. Niemand klärte mich auf über die Vögel, die
Bäume und Blumen, niemand gab mir ihre Namen preis, und da ich nicht lesen konnte,
erfuhr ich auch nicht die Namen der Dörfer. Ich lernte nicht, sammelte einfach
nur Gerüche, Klänge und Bilder, sammelte sie wenn möglich täglich ohne
Übersättigung, ohne Langeweile, fand sie immer neu und aufregend und wäre nicht
auf die Idee gekommen, sie verlieren zu können, ihre Namen wissen zu müssen und
dann auch noch zu schreiben.
Liegen
im Gras, zwischen Gänseblümchen und Butterblumen, durch die Gräser blinzeln,
den Himmel betrachten, dann wieder weiter wandern, immer weiter, durch die
Bäume, den Windungen der schmalen, noch nicht für die späteren Fahrzeugkolonnen
ausgebauten Straßen, immer weiter folgend, bis ich auf der anderen Seite des
Berges den Hang des nächsten Berges erblicken und bewundern konnte, meine Freiheit
so genießen, mit der Luft zusammen, die hier oben mir immer etwas klarer und
sauberer erschien, einatmen, frei verweilen oder gleich weiter ziehen, den
nächsten Hang hinauf, zwischen Straßen, Wald und Weideflächen wechselnd wie ich
gerade Lust bekam.
Sommer
hatte kein Wetter, war eben warm, kalt, nass wie es so kam. Und ich war nur aus
meiner heutigen Sicht reich, damals aber weder arm noch reich, noch sonst irgendetwas,
einfach nur ich und alles war gut, so wie es war.
Schön
war im Sommer auch die kleine Stadt, in der schon nichts mehr von dem schrecklichen
Krieg verriet, von dem meine Mutter, nur die, noch manchmal sprach, eher
weinte, schluchzte, sehr zum Verdruss meines Vaters, der davon nichts mehr
hören wollte, auch nichts mehr von dem jungen U-Boot-Kadetten, der nun irgendwo
auf dem Grunde eines weit entfernten Meeres lag, schließlich habe sie ja nun
ihn, und er sei ja auch was. Solche Gespräche waren nie für mich, hörte ich
nur, weiß auch nicht, warum was davon in mir hängen blieb. Vielleicht machte es
die Wiederholung über die Jahre hinweg.
Die
kleine Stadt jedenfalls, die sich auf der einen Seite des Flusses bemühte
Arbeit und Leben zu sein, Gestalt und Bühne, blitzte und leuchtete in den
Sommer, strahlte mich aus jedem ihrer frischen Schaufenster an, leuchtete mir
von den Blumenkübeln farbenfroh entgegen, gab mir lächelnde Fußgänger, niemand,
der mit Hektik hier vorwärts trieb, alles eher wie im Spiel, die Erwachsenen
wie wir Kinder, alle ohne Auftrag, ohne Zwang, einfach nur Bummelanten,
spielende Menschen zwischen Türen und Fenstern.
Autos
gab es noch wenig und so gehörten die Straßen des Städtchens noch uns Menschen,
wo die Kinderwagen in der Überzahl waren gegenüber den motorisierten
Fahrexemplaren.
Natürlich
trieb ich mich auch mit Freunden rum, Jungs aus der Straße, aber ebenso gerne
war ich auch alleine unterwegs. Waren wir zusammen, balgten wir uns meist und
die Wiesen wurden zu unseren Kampfplätzen. Oder wir durchwühlten Papierkörbe in
der Hoffnung auf Flaschenpfand, dass wir dann in Brötchen verwandelten, wenn
Wochenmarkt war sogar in Brezeln, die wir auseinander rissen und für das höchste
Glück auf Erden hielten, neben einer Flasche Bluna, die es für uns nur gab bei Ausflügen
mit den Eltern.
Zu
Geld hatten wir noch gar keine Beziehung. Einmal wollte ich mit fünf Pfennig
ein rotes Rad mit Stützrädern aus dem Schaufenster kaufen und war arg
verwundert, dass das nicht möglich sei. Ich verkraftete es ohne große Blessuren
und zog mit meinem Tretroller weiter durch die Gassen.
Es
geschah nie wirklich etwas und doch alles, was mir genug aufregend für mich
erschien, nichts aber, was sich hier spannend und als flüssige Geschichte
erzählen ließe, überhaupt hatte der Sommer nur sich, wie ein Rad, ein Kreisel,
nichts begann, nichts endete, alles geschah nur einfach so hinter einander weg.
Alles geschah in der Endlosschleife. Und verschwand, wie meine Kindheit, meine
Jugend, diese unglaublich ausreichende Kraft für alles verschwand, die Wärme im
Meer der Sommerstunden und –tage verschwand, ich selbst mir verschwand über
lange Jahre, warum mein Psychologe nun meint, es wäre an der Zeit mich wieder
zu finden und auf zu suchen, leise zu befragen, wer das einst war, dieser
kleine Steppke mit seiner heißgeliebten Lederhose in den warmen Sommern in den
Bergen.
Und
wieder merke ich das Verschwinden der Worte, je näher ich an diese, seine,
meine Sommer gerate, und dass ich morgen meinem Psychologen wahrscheinlich wie
schon meinen Eltern früher nichts von alledem erzählen kann.
Wäre
ich Maler geworden, könnte ich ihm wahrscheinlich unzählige Bilder liefern oder
Musiker, dann hätte ich für ihn viele Töne von damals. So aber stehe ich dank
ihm und seinem Auftrag nur am Ende aller meiner Worte vor den Sommern, jener,
die endlos waren.
Und
vermisse die Lederhose, die Sandalen, die Füße und Beine, die mich damals so
beschwerdefrei überall hin gebracht haben.
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